Wolfram Däumel, Berlin 2017, Bürgerbeteiligung Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße/Sonnenallee in Berlin Neukölln
Fortschreibung der Sanierungsziele

Stellungnahme zur Beschlussvorlage

Die folgenden Aussagen beziehen sich auf das Kapitel „Verkehr und öffentlicher Raum“. [2]

Auf Seite 40 steht: „Die Verkehrs- und Freiraumplanung steht oft im Spannungsfeld verschiedener Nutzergruppen, die unterschiedlichste Anforderungen an den Verkehrsraum stellen. Diese sind aber oft nicht alle gleichermaßen überall zu erfüllen. Maßgeblich für eine Abwägung der Belange der verschiedenen Nutzer*innen sind hierbei insbesondere drei Faktoren. Zum einen ist die verfügbare Fläche begrenzt. Der Straßenraum, aber auch Freiräume und Plätze, sind im Sanierungsgebiet üblicherweise Teil einer gebauten Umgebung. Somit ist insbesondere die Breite von Straßen bereits vorgegeben, so dass nur ihre Aufteilung innerhalb des gegebenen Profils geaändert, aber zumeist kein zusätzlicher Straßenraum geschaffen werden kann. Zum anderen ist der Straßenraum auch ein Funktionsraum. Er muss die verschiedenen fließenden Verkehre möglichst sicher aufnehmen können und stellt Flächen für den ruhenden Verkehr zur Verfügung. Er muss aber auch einen leistungsfähigen Personennahverkehr aufnehmen können sowie die Ver- und Entsorgung sicherstellen. Hierbei sind insbesondere die Belange der Müllentsorgung und des Rettungswesens von wesentlicher Bedeutung. Schließlich kommt dem Straßenland eine wichtige gestalterische Qualität zu. Fehlende Grünflächen können durch Straßengrün zumindest zum Teil kompensiert werden.“

Das ist alles richtig, es ist aber etwas hinzuzufügen:

Karte des Statistischen Landesamtes: Pkw je 1000 Einwohner. In Neukölln Nord Pkw-Besitz kleiner 20%.

Es fehlen Aussagen zum aktuellen, voraussichtlichen und verkraftbaren Motorisierungsgrad. Nach Stand Dezember 2012 [1] kommen im Sanierungsgebiet und den anschließenden Vierteln auf 100 Einwohner weniger als 20 Kfz. Dennoch sind die Straßenränder zu fast 100% von parkenden Kfz belegt, was an der hohen Wohnungsdichte durch häufig vorhandene Seitenflügel und Hinterhäuser liegt. In Anbetracht der vielen Falschparker an Kreuzungen und auf Gehwegen muss sogar von über 100% gesprochen werden, wenn man die legalen Parkplätze als 100% zu Grunde legt.

Im Kapitel „Ausgangslage“ wird festgestellt, dass entgegen der ursprünglichen Annahmen die Bevölkerungszahl angewachsen ist und der Nachverdichtungsdruck weiterhin steigen wird (Seite 4). Ursprünglich sollte eine weitere Verdichtung durch Dachgeschossausbauten vermieden werden. In Anbetracht des starken Bevölkerungswachstums wird aber für eine Nachverdichtung zur Entlastung des Wohnungsmarktes plädiert und darauf verwiesen, dass hier viele Infrastruktur- und Wohnfolgeeinrichtungen bereits vorhanden sind, die in den Außenbezirken erst gebaut werden müssten (Seite 16).

Ein weiterer Zuzug insbesondere in hochpreisige Dachgeschossausbauten wird zu neu hinzu kommenden Kfz und damit zu erhöhtem Parkdruck führen. Das selbe gilt, wenn wohlhabendere Bevölkerungskreise in Wohnungen ziehen, in denen bisher weniger gut situierte Menschen wohnten. Umgekehrt sind die postulierten Ziele für einen aufgewerteten öffentlichen Raum nur erreichbar, wenn weniger Fläche als bisher mit stehenden Fahrzeugen blockiert wird.

Foto: Viel Fläche für Schrägparken in der Herrfurthstr., dichtes Menschengedränge auf dem schmalen Gehweg.

Parkraumbewirtschaftung kann zwar die Verfügbarkeit von Parkplätzen am Tage verbessern, in der Nacht aber müssen alle Kfz von Anwohner/innen untergebracht werden. Somit stellt sich die Frage, wieviele Parkplätze im öffentlichen Raum sollen angeboten werden? Entsprechend dem ungesteuerten Bedarf bliebe dann kein Platz für Grünflächen, für den ÖPNV, für Radfahrende und Fußgänger. Entsprechend dem Anteil der Autobesitzenden an der Wohnbevölkerung müsste dagegen ein Großteil der Fläche zurückgegeben werden.

Eine Zielgröße sollte festgelegt werden, an Hand derer geplant werden kann, ohne dass bei jeder kleinen Maßnahme unendliche Diskussionen um die vorhandenen Parkplätze geführt werden müssen. Aber auch die Frage, ob das Parkhaus in der Donaustraße tatsächlich geschlossen werden muss, da keine Nachfrage besteht, sollte in diesem Zusammenhang beleuchtet werden: Während der öffentliche Raum zugestellt wird, stehen mehrere Parkhäuser leer, die einen Teil der Kfz aufnehmen könnten.

Ähnliche Überlegungen müssen für den fließenden Verkehr angestellt werden: Nicht alle Nutzungen sind in allen Straßen notwendig. Unterschiedliche Verkehrsarten benötigen aber unterschiedliche Infrastruktur. Deswegen müssen Vorrangtrassen für die verschiedenen Verkehrsmittel festgelegt werden.

Foto: Auto schneidet Radfahrer am Maybachufer.

Für den Radverkehr sind Fahrradrouten vorgesehen. Das ist sehr gut, allerdings fehlt es an Qualitätskriterien, so dass im Detail das Einhalten von Mindeststandards nicht gewährleistet ist. Die Problematik an Hand der Planung Donaustraße und den Erfahrungen mit dem Maybachufer ist im Artikel "Fahrradrouten in Neukölln am Beispiel Planung Donaustraße" nachzulesen.

Es muss ein Sanierungsziel werden, dass auf den Fahrradrouten allen Bevölkerungskreisen von 8 bis 80 ein gefahrloses und angstfreies Radfahren möglich wird.

Für den Busverkehr dagegen gibt es keinerlei Planung, obwohl im Bereich des Sanierungsgebietes massive Probleme bestehen. Es gibt im Gebiet 3 ÖPNV-Achsen, die alle an bzw. über der Kapazitätsgrenze laufen: Die U-Bahn-Linie 7, die nur indirekt in Form der Tunnelsanierung mit den Sanierungsmaßnahmen in Zusammenhang steht. Die Buslinie M41 über die Sonnenallee und die Buslinien 104/166 über den Straßenzug Wildenbruchstraße - Erkstraße - Karl-Marx-Straße - Werbellinstraße befahren Straßen, an denen entweder keine Maßnahmen geplant sind, oder aber die ohne Berücksichtigung der Notwendigkeiten eines attraktiven ÖPNV umgebaut werden. So ist und bleibt die Verknüpfung der Buslinien 104/166 mit der U7 absolut mangelhaft. Auf Seite 9 „Soziale Infrastruktur“ wird festgestellt, dass die Altersgruppe der über 65-jährigen im Berliner Vergleich stark unterrepräsentiert ist, aber aufgrund des demographischen Wandels davon auszugehen ist, dass der Anteil der Senioren und Seniorinnen wachsen wird. Daraus folgt, dass der öffentliche Nahverkehr seniorengerecht gestaltet werden muss.

Es bedarf festgelegter Sanierungsziele, die der Wichtigkeit eines funktionierenden ÖPNV für das Gebiet gerecht werden.

Die Probleme des Busverkehrs auf der Linie M41 wurden 2015 im Artikel "Verkehrskonzept Sonnenallee / Weserstraße" beschrieben.

Foto: Bus M41 im Stau auf der Sonnenallee an zugeparkter Bushaltestelle.

Die Zurückstellung des fahrradfreundlichen Ausbaues der Weserstraße ist falsch, da dies in Zusammenhang mit der Sonnenallee eine dringliche Maßnahme ist. Eine Lösung muss bis zur Inbetriebnahme der Autobahnanschlussstelle Sonnenallee gefunden und umgesetzt sein, da sonst der öffentliche Verkehr auf dieser Achse zusammenbricht. Um den Fahrplan zu stabilisieren setzt die BVG schon heute deutlich mehr Busse und Fahrer/innen ein, als planmäßig nötig wären. Bei der prognostizierten Zunahme des Verkehrs auf der Sonnenallee um 19% nach Eröffnung der A100-Verlängerung ist der Kollaps der Linie vorprogrammiert.

Als Sanierungsziel muss die Sonnenallee als wichtigste Bustrasse in dem Gebiet als Vorrangtrasse für den ÖPNV eingestuft werden. Es ist notwendig, ein Konzept für die Sonnenallee unter Einbeziehung der Weserstraße zu erarbeiten, das die spätere Umstellung auf Straßenbahnbetrieb berücksichtigt.

Die unbefriedigende Situation an der Umsteigehaltestelle Rathaus Neukölln wurde 2013 im Artikel "Bushaltestelle Rathaus Neukölln" beschrieben.

Sanierungsziel muss ein optimaler Umsteigeweg zur U-Bahn sowie eine weitestgehend störungsfreie Führung der Busse auf dem Abschnitt Erkstraße - Karl-Marx-Straße - Werbellinstraße werden. Die aus der Voruntersuchung stammenden Pläne müssen den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden.

Foto: Langer Umsteigeweg zum Bus am U-Bahnhof Rathaus Neukölln.