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Richard Müller / Wolfram Däumel, Broschüre der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987 - Teil 1
Fahrradverkehr in der Südlichen Friedrichstadt

Fahrradroutennetz für Kreuzberg

Zur Fahrradwoche 1986 im U-Bahnhof Schlesisches Tor hat der ADFC ein solches Routen-Netz für den Bezirk unter dem Motto "Abgasarm durch Kreuzberg" vorgestellt. Bei der Auswahl der Straßen wurde darauf geachtet, daß

  • wichtige Verbindungen ohne große Umwege zustande kommen,
  • die Routen von den Wohngebieten aus auf Nebenstraßen erreichbar sind,
  • die Routen möglichst an vorhandenen Grünflächen entlang führen.

Eigenständige Radwege innerhalb von Grünanlagen sind ideal zu befahren, aber in Kreuzberg nur an wenigen Stellen möglich. Bei der baulichen Gestaltung der ausgewählten Straßen sind den Bedürfnissen des Radverkehrs Vorrang vor denen des Kfz-Verkehrs einzuräumen.

Gestaltung der ausgewählten Straßen
Baulich getrennter Zwei-Richtungs-Radweg
Grafik:
Vorschlag zur Gestaltung einer Straße mit Zwei-Richtungs-Radweg. Dieses Modell kommt nur bei Straßen ohne frequentierte Grundstückszufahrten in Betracht; aus  [14].

Dazu die Empfehlungen der Forschungsgesellschaft: "Für selbständig geführte und für straßen­beglei­tende Velo­routen, bei denen beide Fahrt­rich­tungen für den Rad­ver­kehr zusam­menge­faßt sind, gilt für die Breite ein Richt­wert von 4,00 m.
Straßenbegleitende Velorouten sollten auf Fahr­bahn­niveau verlaufen. Die Trennung zur Fahr­bahn erfolgt je nach Verkehrs­bedeu­tung der angren­zenden Straße durch einen Grün­streifen oder durch eine Schwelle von mindestens 0,75m Breite, auf der auch Verkehrsschilder, Lichtmaste usw. aufgestellt werden können. Die Höhe dieser Schwelle und des Bordes zum Gehweg sollte 0,05m nicht über­schreiten (Pedal­freiheit). Die Schutz­streifen (Grün­streifen oder Schwelle) müssen an Grund­stücks­zufahrten abgesenkt sein. Velo­routen sollten daher nach Möglich­keit an Straßen­seiten mit möglichst wenig Grund­stücks­zufahrten gelegt werden."
Solche Maßnahmen kommen in Kreuzberg kaum in Betracht. Die starke Mischung von Wohnen und Gewerbe bedeutet stark frequentierte Grund­stücks­zufahrten in fast allen Straßen. Die sich ergebenden Konflikte unterscheiden sich dann kaum von denen bei herköm­mlichen Radwegen. Entlang von Grün­anlagen oder als Verlängerung eines selbständig durch eine Grünanlage geführten Radweges bietet sich diese Möglichkeit aber an. Beispielsweise am Kanalufer, in der Kreuz­berg­straße und im Bereich der Südlichen Friedrich­stadt.

Fahrradstraße

Dazu die Empfehlungen der Forschungsgesellschaft:
"Fahrradstraßen sind Straßen, auf denen Radfahrer durch eine besondere Beschilderung Vorrang erhalten. Kraft­fahrer dürfen sie nur als Anlieger benutzen, auf ihnen nicht schneller als Radfahrer fahren und diese nicht behindern. Die Möglichkeit einer solchen Beschilderung ist nach der StVO derzeit nicht gegeben. Ähnliche Wirkungen können zur Zeit durch die Beschilderung mit Zeichen 250 StVO und dem Zusatzschild 848 'Anlieger und Radfahrer (Sinnbild) frei' oder mit Zeichen 252 und dem Zusatzschild 803 'Anlieger frei' und Geschwindigkeitsbeschränkung auf höchstens 30km/h erzielt werden. Eine Bevorrechtigung der Radfahrer ist dadurch allerdings nicht zu erreichen. (...) Der Begriff 'Fahrradstraße' wurde in das Repertoire der Bestandteile von Radverkehrsnetzen aufgenommen, obwohl eine solche Möglichkeit nach der StVO derzeit nicht gegeben ist. Die ... als wünschenswert angesehene verstärkte Führung der Radfahrer auf verkehrsarmen Straßen macht es aber notwendig, daß die Radfahrer hier besonders bequem und sicher fahren können. Um dies zu erreichen, kann die Bevorrechtigung des Radverkehrs im Sinne der Fahrradstraße in Kombination mit entsprechenden baulichen Maßnahmen eine gute Möglichkeit sein."

Die meisten Straßen des vorgeschlagenen Routennetzes lassen sich ohne großen Aufwand entsprechend umgestalten. Wichtigstes Gestaltungskriterium ist die Reduzierung der Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs. Gerade optisch breite und wenig befahrene Straßen verleiten Autofahrer zu schnellem Fahren. Die in Ortschaften zulässige Höchstgeschwindigkeit ist als Regelgeschwindigkeit für Fahrradstraßen zu hoch.
Grafik: Blickfeldvergleich bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Bei 50km/h (oben) hat der Autofahrer seinen Konzen­trations­punkt etwa 40m vor der Stoß­stange. Sein Blick­feld ist lang und eng. Nur die für das Fahren wich­tigsten Dinge werden erkannt. Bei 30km/h (unten) ist das Blick­feld (schraf­fiert) wesent­lich breiter. [6] Bei hoher Geschwin­dig­keit wird der Rad­fahrer nicht mehr dem Fahr­verkehr zuge­ordnet - es wird vorbei­gefahren'. Bei kleiner Ge­schwin­dig­keits­differenz zum Rad­fahrer wird dieser als 'Fahr­zeug' wahrge­nommen und 'über­holt'. Den Unter­schied kennt jeder Rad­fahrer: Schnelle Fahr­zeuge fahren dicht vorbei, während langsame einen großen Bogen machen. Durch das dichte Vorbei­fahren werden die Rad­fahrer an die parkenden Fahr­zeuge heran­gedrängt. Beim Blick in den Rück­spiegel werden sie dadurch leicht übersehen. So kommt es zu Unfällen durch sich öffnende Auto­türen, die um so folgen­schwerer sind, da der Sturz nach links direkt in den schnellen Fahr­verkehr erfolgt. "Hohes Tempo läßt kaum Verständi­gungs­möglich­keiten zwischen Auto­fahrern ... und Rad­fahrern zu. Bei Tempo 30 können Gesten und Mimik gut wahr­genommen werden, es bleibt genug Zeit für gegen­seitige Reaktionen." [7] Der Anhalte­weg eines Autos verkürzt sich bei Tempo 30 auf weniger als die Hälfte gegen­über Tempo 50. Im Falle einer Kollision sind durch die kleinere Aufprall­wucht die Unfall­folgen für den Radfahrer weniger schlimm.
Entsprechend der Empfehlung der Forschungs­gesellschaft, Kraft­fahrer sollen im gleichen Geschwindigkeits­bereich wie Radfahrer fahren, schlägt der ADFC eine Geschwindigkeits­beschränkung auf 20km/h vor. Damit wird die besondere Situation einer Fahrrad­straße gegenüber anderen Tempo-30-Zonen verdeutlicht. Im übrigen wird die zulässige Höchst­geschwindigkeit immer um einen gewissen Prozent­satz überschritten.
An zweiter Stelle der Gestaltungskriterien steht die Führung des Radverkehrs an Knotenpunkten, insbesondere wenn die Route ein Linksabbiegen vorsieht. Möglichst lange Strecken sollten vorfahrts­berechtigt befahrbar sein.

Grafik:
Vorschlag der Grünen Radler für ein Verkehrszeichen zur Beschilderung der Fahrradstraßen.

Die vorgeschlagene Beschränkung des Nutzungs­rechts der Straße durch Zeichen 250 oder 252 bringt ver­kehrs­recht­liche Probleme mit sich: Voraus­setzung ist die 'Erfor­der­lich­keit', aus Gründen der Sicher­heit oder Leichtig­keit des Fahr­rad­ver­kehrs den Kfz-Verkehr auszu­schließen. Dies dürfte für die Nacht­stunden nur schwer nach­zu­weisen sein  [12]. Eine zeit­liche Be­schrän­kung der genannten Aus­schil­derung ergibt keinen Sinn. Statt dessen sollte durch Abbiege­verbote, Diagonal­sperren oder ähnliche Maß­nahmen der Kfz-Verkehr auf ein Minimum beschränkt werden. Tempo 20 ist ein weiteres Mittel, Kraft­fahrer zu veranlassen, die Fahr­rad­straße nur so weit als tatsächlich erforderlich zu benutzen.
Einige gepflas­terte Ab­schnitte müssen - zumin­dest im Fahr­bereich des Rad­verkehrs - einen neuen Fahr­bahn­belag erhalten.

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