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Richard Müller / Wolfram Däumel, Broschüre der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987 - Teil 1
Fahrradverkehr in der Südlichen Friedrichstadt
Unfälle
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Viele Kraft­fahrer denken vor dem Abbiegen nicht daran, sich durch den "Radfahrerblick" zu vergewissern, daß auf dem Radweg kein vorfahrtsbereclitigter Radfahrer naht; aus  [17].

Als Hauptargument für den Bau von Radwegen galt bisher die größere Sicher­heit für Rad­fahrer. Nicht nur von den Rad­fahrer­organi­sationen wird dies ange­zweifelt. Wie eine Analyse der Unfälle mit Rad­fahrer­beteiligung der TU München ergab, "gibt es keine wesentlichen Unter­schiede in den Unfall­folgen auf Straßen mit und ohne Radweg. Typische Unfall­stellen sind Kreuzungen, Grund­stücks­zu­fahrten und Ein­mün­dungen - rund zwei Drittel der Münchner Unfälle waren hier zu ver­zeichnen. (...) Während sich durch die Anlage von Rad­wegen die Zahl einiger charak­teris­tischer Strecken­unfälle redu­zieren läßt (Über­holen, Auf­fahren), nimmt die Häufig­keit der Unfälle im Knoten­punkts­bereich (Kreuzen des Geg­ners) deutlich zu."  [3]
Eine solche Unter­suchung gab es in Berlin bisher nicht. [19] Unberück­sichtigt bleiben bei allen Statistiken neben vielen leichten Unfällen die 'Beinahe-Unfälle'. Beispiels­weise wenn ein Kraft­fahrer beim rechts Abbiegen den 'Rad­fahrer­blick' vergißt: Ein Zusammen­stoß wird nur dadurch verhindert, daß der Radfahrer scharf bremst und auf seine Vorfahrt verzichtet. Ähnlich verhält es sich bei aus Seitenstraßen kommenden Kraft­fahr­zeuge, die über die Radwegfurt bis zur Sichtlinie der eigentlichen Straße vorfahren. Da der einzige Schutz des Radfahrers vorausschauendes Fahren ist, führen viele Konflikte nicht zu Unfällen. Eine vernünftige Radverkehrsplanung kann jedoch nicht davon ausgehen, daß Radfahrer in diesen Konfliktbereichen auf ihre Vorfahrt verzichten.

Fahrkomfort

Fahrräder haben schmale Reifen und keine Federung. Daher sind Radfahrer in besonderem Maße auf einen guten Fahrbahnbelag angewiesen. Wegen der häufig notwendigen Aufgrabungen auf Grund der Versorgungsleitungen wird in der Regel anstatt Asphalt Betonverbundstein-Pflaster verwendet. [2] Die Fugen verursachen insbesondere bei Rennrädern starke Vibrationen. Ungenügender Unterbau führt nach einigen Jahren zu Bodenwellen, die die Wirbelsäule der Radfahrer stark belasten.
Zu einem guten Fahrkomfort gehört auch die Möglichkeit, sich mit wenig Kraftaufwand fortzubewegen. Bei gleichförmiger Bewegung (d.h. konstante Geschwindigkeit) ist der Energieaufwand am geringsten. Es müssen nur der Rollwiderstand des Rades und der Luftwiderstand überwunden werden. Die auf den Autoverkehr eingestellten 'Grünen Wellen' der Ampelanlagen zwingen Radfahrer an fast jeder Kreuzung zum Halten ('Rote Welle'). Dies tritt besonders dann auf, wenn die Grünphase für den Radverkehr kürzer als die für den Kfz-Verkehr ist (kleine Zusatzampeln). Steile Verschwenkungen des Radweges, wie sie beispielsweise vor und hinter Schrägparkhäfen angelegt wurden, zwingen ebenfalls zum Bremsen und Beschleunigen.

Akzeptanz
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Eine alltägliche Situation: Der aus einer Nebenstraße kommende Kraft­fahrer überfährt die Radwegfurt, ohne auf vorfahrtsberechtigte Radfahrer zu achten. Daß dieser Konflikt selten zu Unfällen führt, ist nur darauf zurückzuführen, daß Radfahrer zur eigenen Sicherheit vorausschauend fahren und so noch rechtzeitig eine Vollbremsung machen können.

§41 StVO besagt, daß Radfahrer einen vorhan­denen Radweg benutzen müssen. Dennoch sind immer wieder Rad­fahrer zu beobachten, die trotz parallelem Radweg die Fahr­bahn benutzen. Es handelt sich in der Regel um Leute, die längere Strecken zurück­legen und ent­sprechend zügig fahren wollen ('Alltags­radler'). Sie fühlen sich durch die Radweg­benutzungs­pflicht nicht nur in ihrer Mobilität eingeschränkt, sondern in Anbe­tracht der genannten Unfall­problematik im Kreuzungs­bereich zusätzlich gefährdet.

Gegenwärtige Situation

Zwar wurden einige Radwege zu Lasten der Fahr­bahn angelegt, doch sollte in Geschäfts- und Haupt­verkehrs­straßen weder auf Fahr­bahn­fläche, noch auf Stell­plätze verzichtet werden, so daß dort weiterhin der Bürger­steig für die Anlage der Radwege herhalten mußte. Radwege ohne die genannten Mängel entstanden so nur an Stellen, wo mehr Fläche vorhanden war, als für den Kfz-Verkehr benötigt wurde. Das ist in aller Regel nur in wenig befahrenen Neben­straßen der Fall. Dort wäre in vielen Fällen die Verlang­samung des Kfz-Verkehrs das geeignetere Mittel zur Verbes­serung der Situation für Rad­fahrer gewesen. Die zur Netz-Schließung gedachten Radwege in Neben­straßen, wo aus Platzgründen der Gehweg zur Anlage des Radweges benutzt wurde, stellen eine Verschlechterung der Situation dar.
Mittlerweile wurde von einigen dieser Pläne abgesehen und auf Radwege verzichtet (Luckauer Straße, Waldemarstraße). Auch werden die Verschwenkungen der Radwege nicht mehr so steil ausgeführt und mehr auf die Breite der Radwege geachtet. Auf den Bord zwischen Radweg und Fußweg wird jetzt ebenfalls verzichtet. Eine bessere optische Trennung wurde damit nicht erreicht, die Gefahr eines Sturzes der Radfahrer bei Ausweichmanövern ist dagegen erheblich. An Engstellen des Kfz-Verkehrs, wo gute Radwege tatsächlich einen Sicherheitsgewinn bringen könnten, werden nach wie vor nur unzureichende oder gar keine Radwege angelegt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß ein solches Radwegenetz eine Behinderung und Benachteiligung schnellen Fahrradverkehrs darstellt und sich somit der Fahrradnutzung für weitere Strecken in den Weg stellt. [13] Bei kurzen Strecken dagegen (z.B. zum Einkaufen) spielen die Behinderungen eine kleinere Rolle. Insbesondere langsame und unsichere Radfahrer fühlen sich auf den Radwegen wesentlich sicherer, so daß die Bereitschaft zur Nutzung des Fahrrades wächst.

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